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Caves - Die Oberfläche

Mit einem grimmigen Gesicht begutachtete der Wärter die Gefangenen in ihren Zellen. Gefängniszellen, die provisorisch in die Höhlenwände eingebaut wurden. Auf einer der Bänke saß ein schweigsamer, auf den Boden blickender Mann. Sein Gesicht war mit einigen Narben gekennzeichnet, und sein Körperbau war auch nicht von schlechter Natur. Der Wärter schellte mit seiner Gewehrmündung an das Zellengitter, um ihn aus seiner augenscheinlichen Trance zu wecken. Der Gefangene hob mit einem finsteren Blick seinen Kopf, und wartete darauf, was der Wärter wohl wieder interessantes zu verkünden hatte. Doch dieser fragte nur knapp: „Kampferfahrung?“ „Geht so.“, brummte der Insasse. Der Wärter ließ zwei Unterstellte in die Zelle treten, die dem Mann einen Kabelbinder um die Hände legten, und ihn darauf vor den führenden Gefängniswärter stellten. „Dein Name?“, erkundigte er sich. „Venom.“, gab dieser mürrisch zurück. Der Wärter nickte kenntnisnehmend, hing sein Gewehr über die Schulter, und schritt zur großen Eisentür, die den Gefängnistrakt vom Wohnbereich und den restlichen Zonen trennte. So konstruiert, das sie nur von aussen geöffnet werden konnte, war eine weise Entscheidung des Wärters gewesen – noch nie war jemandem ein Ausbruch gelungen. Selbst wenn er es auf den Korridor schaffte – sobald er den Zellentrakt verlassen wollte, musste er durch die Eisentür, die durch diese geschickte Maßnahme unpassierbar war. Der befehlshabende Wärter schritt vor die massive Tür, und klopfte kräftig dagegen. Nach wenigen Augenblicken hörte man, wie sich auf der anderen Seite der kräftige Riegel mit einem quietschend-schabendem Geräusch in Bewegung setzte. Mit dem Öffnen der Tür verschwand auch die akustische Barriere, da man nun das Geplappere und Herumwuseln der Leute im öffentlichen Bereich hören konnte. Der Wärter schritt zuerst hindurch, darauf folgte ihm der gefesselte Gefangene und seine Eskorte. Draussen wurde der – bis vor kurzem noch – Zelleninsasse vom warmen Licht des Wohnbereiches geblendet. Unterhalb von ihm, auf dem – in den Boden herabgelassenen – öffentlichen Platz, saß ein etwas älterer Mann, der russische Lieder sang, begleitet von der Gitarre des jungen Mannes, der neben ihm saß. Von den Bewohnern dieser Zone konnte vermutlich kein einziger russisch Sprechen, doch Musik löste unter den Leuten immer eine entspannte Stimmung aus. Zwei Männer tanzten miteinander eine Art Volkstanz. Ob es zu dem Lied gehörte, konnte man nicht erkennen, doch die beiden schienen vollkommen im Element zu sein. Was die Kinder dazu tanzten, gehörte selbstverständlich nicht dazu, doch verstanden sie es durchaus, sich im Rhythmus zu bewegen. Venom sah sich beinahe dazu bewegt, ein Lächeln aufzusetzen, doch als er den Blick nicht von der euphorischen Menschenmenge lösen wollte, schubste eine der Wachen ihn grob weiter. Nur wenige der umherlaufenden Leute warfen Venom einen Blick zu. Es war überall bekannt, das an diesem Tag ein Gefangener eskortiert werden würde – ausser für die Gefangenen natürlich. Im schnellen Schritt ging es in Richtung der Administration – der Verwaltung dieser Zone. Vor dem Eingang stand ein Trupp Soldaten, allerdings kaum ausgerüstet. Sprich, keine Kampfanzüge, keine Helme, kein garnichts. Nur ein paar Taschen für die Grundausrüstung, nichteinmal ein Gewehr hatten sie. Das sie Soldaten waren erkannte man an den Symbolen auf ihrer Kleidung. Einer der Wachmänner hinter Venom schob ihn grob vor den Kommandanten des Häufchen von Soldaten, und hielt präsentierend seine Hand in Venom's Richtung. Der Kommandant nickte genervt, während er seine Zigarette rauchte. Daraufhin kappte die Wache seine Kabelbinder, und der Truppführer der Soldaten informierte Venom: „Wenn du mitkommst, und einfach nur machst was wir sagen, wirst du – sofern du den Einsatz überlebst – freigelassen. Klar?“ Mit seiner immernoch finsteren Miene nickte Venom. Die Gefängniswachen zogen mittlerweile wieder ab, zurück zum Trakt, wo sie hingehörten. Als der Kommandant seine Zigarette durchgeraucht und auf dem Boden ausgedrückt hatte, betätigte er den Klingel-Knopf der Tür, vor der sie standen. Venom kannte diesen Ort bereits – die Waffenkammer ihrer Zonen-Soldaten. Alle Soldaten schritten hinein, während der Kommandant die Männer durchzählte. Als er jeden im Gedächtnis hatte, beorderte er die Anzahl an Waffen an der Ausgabe, und warf jedem der Kämpfer eines der Gewehre zu. Auch Venom bekam eines zugeworfen, der es locker mit einer Hand fangen konnte – als er jedoch die jungen und unerfahrenen Rekruten im Trupp sah, die Mühe hatten, das Gewehr allein schon mit zwei Händen stabil zu halten, wurde ihm mulmig. Jeder der Soldaten zog sich nun einen dicken Kampfanzug an, der schon eher an einen ABC-Anzug gegen Strahlung und Gift erinnerte. Schließlich zog jeder noch einen Helm, mit darin integrierter Gasmaske, auf. Venom hingegen bekam vom Kommandanten eine sehr simple, veraltete Gasmaske in die Hand gedrückt, und eine – allem Anschein nach schon einmal getroffene – Schutzweste. Mit einem unsicheren Stirnrunzeln nahm er die Weste entgegen, und zog sie über sein ranziges Oberteil. Die Gasmaske legte er ersteinmal wie eine Uhr an den Arm an, und zog sie auf den Oberarm – eine bessere Möglichkeit sie zu transportieren hatte er nicht. Der Truppführer fragte mit unterdrückter Nervosität: „Alle fertig?“ Der Raum wurde erfüllt mit bejahenden Stimmen. Der Kommandant nickte, und die Gruppe setzte sich in Bewegung. Draussen wünschten einige der umherlaufenden Zonenbewohner den Soldaten viel Glück. Wobei, wusste Venom nicht – noch nicht. Sie marschierten durch die ganze Wohngegend, bis sie an einer Art Tunnelsperre ankamen. Venom sah sich die Gegend genau an. Das war keine gewöhnliche Tunnelsperre, dafür wurde sie viel zu stark bewacht. Und es gab an den Tunnelsperren normalerweise keine riesigen Eisentore, soweit er sich erinnern konnte. Zwar an Barrikaden, aber nicht an massive wie diese. Die Truppe die eben auf dem Weg noch Späße gemacht hatte und unter Gelächter marschiert war, war nun verstummt, bis auf den letzten Mann. Keiner sprach mehr ein Wort. Der Truppführer ging zum Wachpostenführer am Tor, der mit dem Schützen am Maschinengewehr bis eben noch einen kleinen Plausch gehalten hatte. Der Kommandant des Soldatentrupps nickte diesem nur zu, und einer der Untergeordneten begann, an einer Kurbel das schwere Eisentor anzuheben. Parallel dazu schloss sich hinter ihnen eine gleich große Schleuse, und der heimische Klang ihrer Heimatzone stoppte abprubt mit einem harten Schlag des Eisentors auf den Boden. Ein Luftzug mit unbekanntem, chemikalischem Geruch zog den Soldaten und Tunnel-Wachen entgegen. Die Soldaten klappten die Gasmasken ihrer Helme herunter, Venom nahm seine vom Arm und schnallte sie sich vor sein Gesicht. Der Trupp setzte sich in Bewegung, und marschierte in den Tunnel. In dieser Höhle ging es auffällig stark bergauf. Hinter ihnen schloss sich die große Barrikade, und jeder knipste seine Stirnlampe an. Mit der dumpfen Stimme durch seine Gasmaske befahl der Truppführer: „He! Du, Gefangener!“ Venom zeigte fragend auf sich selbst. „Ja, Du! Nach vorne, los!“ Damit wurde klar, warum sie den Gefangenen mitgenommen hatten – als Späher. Oder klarer ausgedrückt – als Köder. Venom traute seinen Augen kaum. Am Ende des Tunnels war Licht. Jedoch kein gewöhnliches Licht. Nicht wie die Wärmelampen und gelborangen Notleuchten in den Zonen, sondern eine Art Licht, das er noch nicht kannte. Der zweite Späher hinter ihm, bemerkte seinen offenbar faszinierten Gesichtsausdruck und beantwortete seine ungestellte Frage: „Du siehst schon richtig. Tageslicht. Wir gehen an die Oberfläche.“ Venom traf gleich der Schlag. Seit der Mensch in die Tunnel gezogen war – vor mehr als 60 Jahren – ging niemand an die Oberfläche. Nicht nur wegen dem Virus, sondern auch wegen den Endprodukten. Als sie in die Höhlen flüchten mussten, waren es noch soetwas wie Zombies, wie die alten Männer - aus der Zeit davor – immer erzählten. Doch mittlerweile streiften dort oben wesentlich schlimmere Dinge umher, noch schlimmere als in den Tunneln. Und diese machten einem schon zu schaffen. Also wozu noch nach oben? Die Menschen wussten ja nichteinmal, wo genau sie sich auf der Erdkugel befanden. „He, Sträfling, nicht einschlafen!“, brummte der Kommandeur, als er bemerkte, wie Venom in Gedanken versank. Immer dichter marschierten sie an das Licht heran. Plötzlich hielt Venom inne, und legte sein Gewehr an. Er glaubte, einen Schatten durch das Licht huschen zu sehen. Der Trupp bemerkte das, und hielt ebenfalls an. Ein kräftig gebauter Mann, mit einem Söldnerabzeichen am Arm, schritt neben Venom und blickte ebenfalls konzentriert das Licht an. „Nervös, hm?“, bemerkte dieser abfällig und schüttelte mit dem Kopf. Venom reagierte nicht auf den streitorientierten Söldner, denn wenn er wüsste, was Venom für eine Vergangenheit hatte, wäre er nicht so leichtfüssig mit seiner Abfälligkeit. Kräftig schubste der Söldner Venom wieder nach vorne, und lief weiter. Die Truppe nahm also auch wieder ihren Schritt auf. Wenn es nach ihm gehen würde, wäre er schon längst wieder umgekehrt. Seine Vorahnungen bereiteten Venom mehr Nervosität, als er sie sowieso schon hatte. Das Licht war nun schon beinahe unmittelbar vor ihnen, und der Luftzug wurde stärker. Gerade als Venom – wenn auch gezwungermaßen – aus dem Tunnel heraustreten wollte, meinte der Kommandeur: „Sträfling, stopp. Wenn du den Himmel zuerst sehen dürftest, wäre das ja eine Schande.“ Soll er nur gehen, wird er schon sehen, was er davon hat, dachte sich Venom im Stillen. Triumphierend stolzierte der Truppführer ins Licht, und staunte in den Himmel. Beinahe ließ er sein Gewehr fallen, denn soetwas wie freien Himmel, hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Er wuchs in den Höhlen auf, wie jeder andere. Und die, die den Himmel bereits kannten, waren entweder nicht mehr am Leben oder viel zu alt, um nocheinmal heraufzusteigen. Der Rest des Trupps folgte nun auch nach draussen, und starrte in die Luft. Der Kommandant vergaß plötzlich seine raue Art, und forderte Venom herzlich, diesmal sogar ohne ihn mit Sträfling anzureden, auf: „Du! Komm' mal hier raus. Das ist unglaublich.“ So gerne er den Himmel und die offene Welt gerne gesehen hätte, sagte ihm sein Instinkt nichts Gutes voraus. Entschieden schüttelte Venom den Kopf, und ging einen Schritt zurück. Schließlich noch einen. Gerade als er noch weiter zurückweichen wollte, erklang von draussen ein fürchterliches Brüllen. Die schweren Gewehre trommelten los, und nach kurzer Zeit setzte auch das schwere Maschinengewehr des Söldners mit ein, und hämmerte Kugeln durch die Luft. Doch so schnell wie es begann, ebbte es auch wieder ab. Keine Waffe schoss mehr, alles war ruhig. Venom wollte den Trupp rufen, doch andererseits war es ihm egal, was mit ihnen geschehen war. Er machte sich viel mehr Sorgen darum, ob der Angreifer noch dort draußen war. Ohne Vorankündigung erklang erneut der fürchterliche, unmenschliche Schrei. Kurz darauf schleuderte es einen Gegenstand in den Tunnel, den Venom nicht genau erkennen konnte. Vor der Höhle nahm Venom Flügelschläge war, und der Angreifer schien sich zu entfernen. Schien für ihn wohl nur ein kurzer Mittagssnack gewesen zu sein. Nachdem er noch zur Sicherheit einige Minuten gewartet hatte, kniete Venom sich hin und leuchtete in die Richtung, in der der Gegenstand heruntergekommen sein musste. Als er erblickte, was da in den Tunnel geflogen kam, hielt er kurz seine Hand vor Nase und Mund. Vor ihm lag ein abgetrennter Arm – mit dem Söldnerabzeichen, dass der Veteran trug. Doch nachdem er die Übelkeit vertrieben hatte, wurde ihm klar, das er den Arm brauchen würde. Also hob er ihn auf, und schritt den Tunnel zurück.

Die Scheinwerfer brannten in Venom's Augen. Hinter dem Maschinengewehr fragte der Schütze nervös: „Bist du der Einzige?“ Venom nickte, während er sich seinen Arm vor die Augen hielt, um seine Augen zu schützen. Zu seiner Überraschung schien der Schütze die Bewegung gesehen zu haben, und dieser fuhr schließlich fort: „Und wer garantiert uns, das du sie nicht selbst umgelegt hast, Sträfling?“ Daraufhin hob Venom den abgetrennten Arm von dem Söldner herauf. Die anderen Wachen kommentierten zwar leise, aber hörbar mit Bemerkungen wie Oh Gott oder Scheiße. Der Scheinwerfer ging aus, und das Eisentor hob sich. „Ist gut. Du kannst durch.“ Bevor er ging, brüllte Venom zu dem MG-Schützen herauf: „Meinen Teil der Abmachung habe ich erfüllt. Ich habe alle Befehle befolgt und ich lebe noch. Also bin ich frei?“ „Ja. Geh' schon.“, gab dieser entschlossen zurück. Venom schritt also durch das Tor, und wartete, bis die zweite Seite der Schleuse sich schloss. Seine beschlagene Gasmaske nahm er endlich ab, schloss die Augen und atmete erleichtert die aufbereitete Höhlenluft der Wohnzone ein, die er kannte. Als er die Augen öffnete, zuckte er zusammen. Eine große Menschenmenge stand vor dem Tor, und sah Venom beigeistert an. Ein Junge, vielleicht 14 Jahre alt, starrte ihn an und fragte: „Wie war es?“ Bejahende Stimmen durchdrangen die Menge, und die Blicke wurden immer neugieriger. Verschämt gab Venom knapp heraus: „Beeindruckend. Es war... beeindruckend.“ Er war noch nie sehr wortgewandt, doch selbst diese paar Worte schienen eine geradezu mitreißende Stimmung für die feurige Menge zu erzeugen. Irgendjemand aus der Menge informierte Venom: „Der Administrator will mit ihnen reden.“ Also begann Venom verlegen sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, und vom anderen Ende des Platzes ertönte feierliche Musik. Die Menschen schienen ihn zu feiern, als sie begannen, zur Musik mitzuklatschen, was sich mit dem für Venom bestimmten Applaus mischte. Eilig schlängelte Venom sich durch die Menge, und verschwand schließlich im Büro der Administration.


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