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Space Division

Mit einem konzentrierten Gesicht verschob Narrem die Schaltflächen und Fenster auf seinem Hologramm, dass vor ihm schwebte. Als eine neue Nachricht kam, befeuchtete er kurz seine Lippen, zog seinen Leuchtstift und tippte auf einer aufgeploppten Sternenkarte einige Koordinaten ein.
"Meldungen von der Marina?", fragte ihn ein kräftiger Mann, der sich mit geducktem Kopf ins Cockpit gesellte.
"Negativ, Sir. Das Hauptquartier hat eben um ihre letzten Koordinaten gebeten.", erwiderte Narrem.

Der Mann war sein Vorgesetzter, und sein Partner zugleich. Er war Captain, also ein Rang über Narrem. Nach einer kurzen Pause wies er ihn an: "Nehmen sie den alten Kurs wieder auf. Ich will wissen, was mit der Marina passiert ist."
Mit einem Nicken breitete Narrem seine Handfläche aus, und schob mit einer Geste das große Holointerface beiseite. Wie von Zauberhand streckte sich ihm der Steuerhebel des Schiffes entgegen, und er setzte es in Bewegung.
Captain Miller verschwand wieder aus der Steuerkanzel, und das Schiff glitt durch den leeren Raum des Sternenhimmels. Auf dem kniehohen Display ploppte eine Route auf, der Narrem so gut wie möglich folgte. Schräg über ihnen flog ein weiteres, großes Raumschiff vorüber. Die Kennung wies auf einen Frachter mit Gefahrengut hin. Gelangweilt kaute Narrem auf der Innenseite seiner Wange herum, stand schließlich auf und ließ den Autopiloten fliegen. Wozu manuell fliegen, wenn er sowieso nur einer Route folgen musste?
Er duckte sich, schritt durch die Tür des Cockpits und seine Sockenfüße erzeugten ein gedämpftes, metallisches Klopfen, wie er es von dem Boden an Bord kannte. Anstatt dem Gang weiter zu folgen, ging er jedoch nur in die kleine, besenkammergroße Waffenkammer direkt hinter der Brücke. Er atmete etwas genervt durch, als er seinen Spind öffnete und seine Ausrüstung überprüfte. Beim durchwühlen des Spindinhalts kam sein gesamtes Equipment zum Vorschein – auf der oberen Fläche lag eine sauber zusammengelegte Ersatzuniform, seine selbstgebaute Pistole, sein Dienstabzeichen, eine alte Schirmmütze der Polizei von der Erde, und ein längliches, headsetmäßiges Funkgerät für ein Ohr plus Ladestation. Darunter, auf seiner Brusthöhe, hing ein dicker Raumanzug, mit dem selben Abzeichen, was man auch auf jeder Klamotte in dem Spind finden konnte, dahinter sein Unimun-Sturmgewehr, und auf Knöchelhöhe standen zwei paar Stiefel – ein normales Springerstiefelpaar, und ein magentisches, aus Metall gefertigtes Paar für den Raumanzug. Mit einem Nicken begutachtete er den Inhalt – ja, das war seine Ausrüstung. Er nahm sein Gewehr heraus, und schloss den Spind wieder. Den Spind von Miller wagte er nicht, zu öffnen. Das würde ihm einiges an Ärger einhandeln – auch, wenn sie nun schon mehr als eine Woche zusammen unterwegs waren. Es war sein Zeug, und er hatte kein Recht, es sich anzusehen. Das störte ihn jedoch nicht weiter. Über dem Spind lag ein etwas heruntergekommener, aber trotzdem noch zu gebrauchender Putzlappen, welchen Narrem mit einem kurzen Strecken seiner Füße schließlich auch von dem Spind herunternahm. Er nahm auf der Bank, die in der zur Umkleide umfunktionierten Waffenkammer stand, platz, und begann sein Sturmgewehr zu polieren.

Während seiner Arbeit versank er in Gedanken. Er dachte daran, was er in seinem Urlaub auf Station 2-2 Jupiter tun könnte. Das er seine Frau und seine kleine Tochter besuchte war sowieso klar, doch wenn er gerade die Ruhe hatte, konnte er auch gleich einiges an Aktivitäten für seine Familie und ihn planen. Station 2-2 war nicht seine Heimat. Deshalb kannte er sich dort nicht so gut aus. Er wusste nur, dass es bei den Docks und Landebuchten unglaublich gute Restaurants geben musste. Er und seine Kollegen witzelten immer "Die vom Jupiter, die können immer noch am besten kochen". Seine Checkliste wurde also schon einmal mit diesem Punkt angeführt – Essen gehen. Das vermisste er. Die Protein- und Energieriegel, die auf den Schiffen der Space Division im Vorrat lagen, waren auch nicht das Wahre. Woher das gute Essen auf der Raumstation kommen sollte, erschien ihm allerdings schleierhaft. Logisch, sie wurde beliefert, wie alle anderen Stationen in der Milchstraße, doch warum sollten sie das beste Essen geliefert bekommen?
Mit einem lauten Krachen wurde Narrem aus seinen Captainanken gerissen. Der Captain schrie aus dem Cockpit: "Kgro, sofort ins Cockpit!"
Das war Narrem's Nachname. Eigentlich war es unnötig, dass er ihn bei Namen nannte, auf dem kleinen Zwei-Mann-Schiff waren sowieso nur die beiden stationiert – doch da drang wohl noch der Rest Soldat aus Miller heraus. Eilig hastete Narrem auf seinen Platz in der Steuerkanzel, drehte den Stuhl um 180 Grad in Richtung der Scheibe und ließ ein kleines Hologramm per Knopfdruck aufploppen – das Kampfmodul. Das besondere an diesem war, dass es ihm nicht die Sicht versperrte und auf Gesichtshöhe schwebte, sondern vertikal über seinen Knien lag. Mit Fingerspitzengefühl machte er die Waffen scharf. Man sah an seiner Handhabung, dass er Erfahrung mit dem Bedienung von Schiffsinterfaces hatte – anstatt auf die Flächen zu drücken, strich er nur leicht darüber, weil er ein Gefühl für diese Konsole bekommen hatte.
"Feuerbereit für erste Salve, Sir", bemerkte Narrem unter weiteren Eingaben.
Vor ihnen schwebte die
Marina – jedoch mehr als deutlich demoliert. Die sprühenden Funken am Schiffsrumpf ließen vermuten, dass sie wohl gleich entzwei brechen würde. Einige Klicks neben ihr schwebte ein Schiff unbekannten Typs – zumindest für Narrem. Miller begann laut zu denken: "Haben sie schonmal so einen Frachter gesehen?"
"Negativ, Sir. Ich wollte sie eben dasselbe fra..."
Genau in diesem Moment flog eine Rakete auf ihr Schiff zu. Narrem reagierte sofort, nahm den Steuerhebel in die Hand und riss ihr Schiff beseite. Ohne eine Erlaubnis betätigte er auch sofort den Abzug, und jagte ihrem Angreifer eine Salve
Pierce-Raketen entgegen.
"Was tun sie denn, wieso feuern sie auf diesen Frachter? Das Kommando habe immernoch ich!", bemerkte Miller empört.
Der "Frachter" fuhr plötzlich am oberen Rumpf ein kleines Maschinengewehr aus, dass die ihm entgegen geschickten Raketen pulverisierte.
Mit einem Kopfschütteln lud Narrem die Kanonen erneut auf, und gab nur knapp zurück: "Ein Frachter hat keine Abwehrmechanismen solchen Kalibers. Ich gehe davon aus, dass wir es hier mit einer Eskorte oder vielleicht sogar einem eigenständigen, waffenfähigen Schiff zutun haben." Narrem schob das Waffeninterface mit einer Geste auf die Knie von Miller, während er sich selbst ein Headset ins Ohr klemmte. "Sie übernehmen die Waffen. Ich melde dem Hauptquartier, was hier läuft." Zuerst gekränkt, doch dann einsichtig begann Captain Miller auf der Waffenkonsole rumzutippen und erwiderte weiterhin das Feuer.
"HQ, hier ist Patroullie Fünf. Melde einen Luftkampf mit offenbar schwer bewaffnetem Schiff, stehen unter konstantem Raketenfeuer. Schicken sie Verstärkung, wenn möglich eine Abfangeinheit mit schildbrechender Munition, Ende."

Den bestätigenden Funkspruch hörte Narrem sich garnicht an, und legte das Headset wieder beseite. Nun übernahm der Captain wieder das Kommando.
"Kgro, schwingen sie sich in den Geschützturm. Sehen sie zu, dass sie diesen Abwehrturm zerschreddern." Mit einem salutieren setzte Narrem sich in Bewegung, lief in die Waffenkammer, schlug seinen Spind auf, klemmte sich das Funkgerät ins Ohr und dachte in der Hektik nichteinmal daran, den Spind wieder geordnet zu schließen. Er stieg eine Leiter durch eine Röhre hinunter, und nahm in einem bequemen, schon beinahe liegestuhlartigen Gestell Platz. Er nahm zwei große, querliegende Hebel in die Hand und legte seine Arme nach vorn. Als er mit beiden Händen die schon an Fahrradbremsen erinnernden Auslöser betätigte, krachte es am unteren Rumpf ihres eigenen Schiffes durch den lauten Lärm der kleinen Flys. Flys waren winzige, raketengetriebene Geschosse, die in einer maschinengewehrähnlichen Frequenz abgefeuert werden konnten, um – wie beispielweise jetzt – einen Punkt haargenau anvisieren und zerstören zu können. Als es in der Ferne donnerte, wollte Narrem schon zufrieden seinen Treffer verkünden, musste jedoch durch den kleinen Glaskasten, in dem er saß, mit ansehen wie die
Marina in zwei Teile zersprang. Wütend sah er das Angreiferschiff an. Dafür sollten sie bezahlen. Auf dem Frachter war eine zivilie Crew, unschuldige Menschen. Mit zusammengebissenen Zähnen riss er seine Arme nocheinmal hoch, und schleuderte eine weitere Ladung von Flys auf den Abwehrturm. Der ging nach einigen Treffern schließlich in einem Feuerball auf, und mit wortlosem Timing eröffnete Miller im Cockpit mit ihren Pierce-Raketen das Feuer. Er traf die volle Breitseite ihrer Angreifer.

Er starrte das ominöse Schiff noch einige Minuten an, jedoch rührte sich nichts. Er stand – so gut es in der engen Kanzel ging – auf, kletterte nach oben und gesellte sich zu Captain Miller ins Cockpit. Doch die beiden waren nicht in Sicherheit verfallen, sie starrten unaufhörlich das beschädigte Schiff an.
"Wir scheinen wohl deren Anführer erwischt zu haben", meinte er Captain, "oder vielleicht sogar alle."
"Oder es ist Taktik.", fügte Narrem hinzu, was Miller mit einem Nicken bejahte.
Entschlossen nahm Narrem auf seinem Stuhl platz und ließ sich sein Hologramm aufleuchten. Er aktivierte sein Radar und die Sensoren. Mit ein paar Handgriffen hatte er eine Abtastung eingeleitet, und ein kleiner Fortschrittsbalken zeigte den Prozess an. Nach einem kurzen Moment war sie auch schon beendet, und er kommentierte beunruhigt: "Nichts. Kein Funkverkehr, keine Notsysteme, ..." Und mit diesem Wort krachte es auf dem eben noch gefürchteten Schiff fürchterlich. In einer gleißenden Explosion zerstückelte es den Rumpf, was die beiden beinahe vor Schreck aus ihren Sitzen gerissen hätte. Der Sensor, der eben noch den Schiffsrumpf des nun zerstörten Schiff zeigte, ließ nur noch ein großes, eingekreistes Ausrufezeichen melden. ´
"Das war ein Selbstzerstörungsmechanismus.", stoß Miller hervor.
"Wie meinen sie das?"
"Es ist nur möglich", fuhr er fort, "dass diese Zerstörung nach einer Niederlage so einprogrammiert war. Wenn sie nichteinmal Notsysteme aktiviert hatten, kann es nur ein schiffsexternes oder nachgerüstetes System gewesen sein, dass diese Explosion hervorgerufen hat. Vielleicht trugen sie irgendwelche geheimen Daten mit sich."
Still hörte Narrem sich die Theorie von Captain Miller an, und beobachtete die Trümmer, die nun an der Stelle vor ihnen umherflogen. Welcher zu ihrem Angreifer oder der
Marina gehörte, konnte er nicht identifizieren. Es waren so viele Einzelteile. Um sich von dem Verlust der Besatzung des Frachters abzulenken, sprach er den Captain unbeirrt an: "Waren sie schonmal auf der 2-2 essen?"
"Ja, war ich.", gab dieser nur knapp zurück.
"Ist es dort wirklich so gut, wie man sagt?"
"Allerdings."
"Und... warum?", hackte Narrem neugierig nach.
"Hydrokulturen. Auf der Jupiterstation bauen sie Pflanzen an. Selbstangebaute Pflanzen gibt es sonst nur auf der Erde. Und allein schon, dass sie auf Raumstationen Pflanzen züchten können, ist ein Wunder. Dann schmeckt es auch noch so köstlich... sollten sie einmal erlebt haben."
Die beiden grinsten aus dem Cockpitfenster, schon beinahe vergessen, was eben noch geschehen war. Das lernte man nach einigen Jahren Dienst. Einfach vergessen. Dann wird alles gut.
Narrem schnallte sich an und gab dem Schiff Schub. Er drehte ab von dem Trümmerhaufen, an dem sich schon die ersten Schrottsammler und Aufräumkräfte tummelten. Mit einem kurzen Knopfdruck beschleunigte er ihr Schiff – und sie verließen den Schauplatz und flogen weiter auf Patroullie.

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